Mit Enzymen Chitin-Oligomere funktionalisieren

Mit Enzymen Chitin-Oligomere funktionalisieren

Mithilfe neu entwickelter Enzymsysteme haben Münchner Forschende Chitin aus Krabbenschalen als Biopolymer für den 3D-Druck und als Futtermittelzusatz nutzbar gemacht.

Nordseekrabben
Die Panzer von Schalentieren wie Krabben (Nordseekrabben) enthalten das zweitwichtigste Biopolymer Chitin.

Meerestiere wie Hummer und Krabben sind eine Delikatesse. Doch auch ihre Panzer haben es in sich: Die Schalen enthalten das neben Cellulose am weitesten verbreitete Polysaccharid Chitin. Wegen seiner strukturgebenden, biokompatiblen und antimikrobiellen Eigenschaften ist das Biopolymer seit langem ein interessanter Rohstoff für die Bioökonomie. Zudem kann es aus Reststoffen gewonnen werden, die in Fischerei und Lebensmittelindustrie in großen Mengen anfallen und bisher teuer entsorgt werden.

Rohstoff für neue biobasierte Materialien und Futtermittel

Im Projekt ChitoMat hat ein Team um den Münchner Biochemiker Thomas Brück gemeinsam mit Partnern in Kanada das begehrte Biopolymer aus Hummerschalen gewonnen und neue Produkte generiert. Im Fokus stand die Nutzung von Chitin als Rohstoff zur Herstellung von neuen biobasierten Materialen für den 3D-Druck und die Produktion von antimikrobiellen Wirkstoffen als Futtermittelzusatz in der Tiernahrung. Im Zeitraum von 2019 bis 2022 wurde ChitoMat mit rund 214.000 € durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Fördermaßnahme "Bioökonomie International" gefördert. In das Projekt involviert waren Forschende des Fraunhofer Institutes IGB, der kanadischen University of Prince Edward Island sowie die BBSI Canada Ltd. – ein Unternehmen, an dem auch Thomas Brück beteiligt war.

Chitin für den 3D-Druck von Medizinprodukten nutzen

Biopolymere wie PLA, PHB und Cellulose werden zwar schon heute im 3D-Druck eingesetzt. Aufgrund ihrer schlechten Eigenschaften und der höheren Kosten im Vergleich zu herkömmlichen fossilen Polymeren haben sich die biobasierten Materialien bisher aber noch nicht durchgesetzt. Vor allem für Medizinprodukte wie Implantate und Wundauflagen, für die besonders hohe Anforderungen gelten, sind die gängigen Biopolymere nicht geeignet.  

Biokompatibilität und antimikrobielle Wirkung der Produkte

Mit Chitin haben die Forschenden daher einen vielversprechenden Kandidaten ins Visier genommen. Ein wichtiges Kriterium für den 3D-Druck war, dass Chitin von Natur aus biologisch abbaubar ist. Aber nicht nur das. „Hier haben wir im Produkt eine bessere Biokompatibilität. Eine Wundauflage wäre beispielsweise eine gute Grundlage, damit sich Zellen ansiedeln und die Wunde schneller heilen kann“, sagt Brück. Bei dem Einsatz des Polysaccharids als Futtermittelzusatz war vor allem die antimikrobielle Wirkung relevant. „Chitin schafft ein Milieu, in dem sich pathogene Keime im Darm nicht ansiedeln können. Damit gibt es auch keine Resistenzen“, erläutert Brück.

Chitin-Oligomere aus Hummerschalen gewinnen

Im Projekt ChitoMat ging es darum, das Chitin aus den Hummerschalen herauszulösen. Dafür mussten die Forschenden zunächst das Calciumcarbonat vom Chitin trennen. Anders als bei der Folienproduktion, wo das reine Chitin genutzt wird, wollte das Team daraus sogenannte Oligomere produzieren. Dabei handelt es sich um lösliche Bestandteile, die durch den Abbau von Chitin generiert werden und antibiotisch wirken. „Das sind im Endeffekt Teile vom Chitin mit einer sehr definierten Kettenlänge“, erklärt der Biochemiker.

Zur Generierung der Oligomeren aus Chitin wurde im Projekt ein neues und nachhaltiges Verfahren entwickelt. „Normalerweise wird Chitin in einem chemischen Prozess über mineralische Säuren und Basen prozessiert. Dabei fallen viel Salz und viele Nebenprodukte an, die sogar toxisch sind. Wir wollten im Endeffekt eine Reproduzierbarkeit und eine Nachhaltigkeit in der Prozessierung hin zum Biopolymer oder Futterzusatz erreichen“.

Sekretierte Chitinase-Aktivität des Bodenbakteriums Jeongeupia naejangsanensis nach 3 (D) und 5 (F) Tagen Inkubation bei 28°C auf minimalem Nähragar mit kollodialem Chitin als einzige Kohlenstoffquelle.
Sekretierte Chitinase-Aktivität des Bodenbakteriums Jeongeupia naejangsanensis nach 3 (D) und 5 (F) Tagen Inkubation bei 28°C auf minimalem Nähragar mit kollodialem Chitin als einzige Kohlenstoffquelle.

Neues Enzymsystem etabliert

Konkret wurde ein System entwickelt, das statt Säuren und Basen Enzyme – sogenannte Chitinasen – nutzt, um die Oligomere zu produzieren. Mithilfe dieses Enzymsystems wurden die Oligomere geschnitten und damit die Länge der Molekülketten des Polymers entsprechend der Anwendung gezielt definiert. „Die wissenschaftliche Herausforderung war, Enzyme zu finden, die diese Oligomere in dieser Länge gezielt schneiden. Und das ist uns gelungen. Wir haben einen viel besser definierten Produktstamm bekommen“, resümiert Brück. Der Biochemiker ist Leiter des Werner Siemens-Lehrstuhls für Synthetische Biotechnologie an der TU München und seit 2020 auch Mitglied des Bioökonomierates – ein Beratergremium, das die Bundesregierung zu Fragen der Bioökonomie berät. Im Projekt hatte sich das Münchner Team vorrangig mit der Polymerisation von Chitin befasst. Das IGB war neben der Verwaltung des Vorhabens mit der Forschung zur Nutzung von Chitin und der Polymerproduktion beschäftigt.

Neue Bakterienstämme für Chitin-Oligomere gefunden

Die geeigneten Chitinasen fand die Forschungsgruppe schließlich in einem Wald in Bayern. Denn nicht nur in Krustentieren, sondern auch in Pilzen steckt das Biopolymer. Aus Pilzen und Bodenproben konnten zwei Bakterienstämme isoliert werden, die in der Lage waren, Chitinasen herzustellen. Mithilfe dieses neuartigen Enzymsystems konnten die Chitin-Oligomere entsprechend ihrer Anwendung als Biopolymer und Futterzusatz funktionalisiert werden. Brück zufolge wurden beispielsweise die Oligomere für den 3D-Druck „nicht als fester Stoff, sondern als Hydrokolloid designt – also als Polymer, das auch Wasser aufnehmen und speziell als Wundauflage oder als Zellmatrix genutzt werden kann“. Verantwortlich für die Tests der Chitin-Oligomere waren die Partner vom Atlantic Veterinary College der University of Prince Edward Island in Kanada. Hier wurden auch erste Laborversuche durchgeführt.

Anders als geplant, konnte das neue Verfahren aber nicht in die großtechnische Anwendung überführt werden. Der Grund: Durch Corona brach der lokale Markt für Hummerschalen in Kanada ein – und damit auch die Hauptrohstoffquelle für das kanadische Unternehmen BBSI Canada um Thomas Brück, das die Münchner Forschenden beliefern sollte. „Das war ein tragisches Ende, weil wir eine gute Finanzierung und auch Kunden für erste Produkte hatten. Durch einen Mangel an Rohstoffen musste die Firma innerhalb von vier Monaten Insolvenz anmelden. Doch wir haben in Restaurants eine alternative Rohstoffquelle gefunden. So hatten wir aber nur kleine Mengen für das Erreichen der Projektmeilensteine zur Verfügung“, berichtet Brück.

Prototypen aus dem chitinbasierten Biopolymer gedruckt

Doch die kleinen Mengen reichten aus, um erste Prototypen aus dem chitinbasierten Biopolymer zu drucken und in Zellsystemen die entsprechenden Eigenschaften zu testen. Verantwortlich dafür waren Forschende am Atlantic Biofabrication Laboratory der University of Prince Edward Island in Kanada. „Es gab einen Prototypen in Form von Netzen, wo wir geschaut haben, wie sich diese mit menschlichen Zellen verhalten. Diese Test sind alle positiv verlaufen.“ Die Tierversuche mit dem chitinbasierten Futterzusatz mussten jedoch abgebrochen werden, weil die verfügbaren Mengen nicht ausreichten.

Im EU-Projekt „Valuable“ wird Thomas Brück nun die Forschung an Chitin fortsetzen. „Jetzt verwenden wir zusammen mit Projektpartnern unsere Enzymsysteme, um daraus Chitin-Oligomere für die Kosmetikanwendung zu machen. Dieses Mal nutzen wir aber statt Hummerschalen das Chitin aus pilzlicher Biomasse, die in vielen industriellen Prozessen als Reststoffstrom anfällt und viel einfacher zu bekommen ist“.

Autorin: Beatrix Boldt