Auf allen Ebenen gegen die Klimakrise

Auf allen Ebenen gegen die Klimakrise

Auf der Klimakonferenz ICCA in Heidelberg betonten Akteure aus Politik und Wirtschaft die Notwendigkeit der Kooperation staatlicher Entscheidungsträger.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze eröffnet die Konferenz ICCA 2019.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze eröffnet die Konferenz ICCA 2019.

„Hier in Heidelberg ist sehr deutlich geworden: Wir können das machen. Wir haben neue Einblicke und Partner gewonnen und neue Allianzen geschmiedet. Wir haben das Wissen und den Willen zusammenzuarbeiten und einander dabei zu unterstützen, die Paris-Vereinbarung umzusetzen.“ Mit diesen Worte fasste Bundesumweltministerin Svenja Schulze am Donnerstagnachmittag die zweitägige Konferenz „ICCA2019 – International Conference on Climate Action“ zusammen. Rund 900 internationale Experten aus allen Regierungsebenen – vom Bürgermeister bis zum Minister – und aus Wirtschaft und Wissenschaft waren zusammengekommen, um Lösungen auszutauschen, wie die unterschiedlichen Ebenen eines Landes zusammenarbeiten können, um effektive Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Ebenfalls im Fokus standen Beispiele internationaler Kooperation.

Klimaschutz betrifft alles

Bereits zu Beginn der Konferenz hatte Mauro Petriccione, der Generaldirektor Climate Action der Europäischen Union, betont: „Der Klimaschutz ist nicht etwas Zusätzliches, das wir machen müssen, sondern betrifft alles, was wir machen.“ Und Sheela Patel, Vorsitzende der Slim Dwellers International, gab den Teilnehmern mit auf den Weg, dass Klimaschutzmaßnahmen nicht isoliert betrachtet werden können, sondern Kompromisse mit anderen Zielen wie sozialer Gerechtigkeit sein müssen: „Die Champions der UN-Nachhaltigkeitsziele und die Champions der UN-Klimaschutzziele stehen manchmal im Widerspruch.“

Schwerpunkt der Agenda stellten die Städte da, die bereits heute 60% Anteil an den globalen CO2-Emissionen haben und in den kommenden drei Jahrzehnten um 1,5 Milliarden Menschen wachsen werden. So warnte Dirk Messner, Direktor des Instituts für Umwelt und menschliche Sicherheit an der Universität der Vereinten Nationen, dass die Zeit der Dekarbonisierung mit der Zeit der schnellsten Urbanisierung in der menschlichen Geschichte zusammenfalle. Allein der Bau der nötigen Infrastruktur für das Städtewachstum infolge von Urbanisierung und Bevölkerungszunahme würde bis 2050 fast das gesamte CO2-Budget verbrauchen, das das 1,5-Grad-Ziel der Menschheit noch lasse. „Wir müssen Städte anders bauen!“, lautete seine dringende Forderung, Baustoffe wie Zement, Stahl und Aluminium CO2-neutral herzustellen oder zu ersetzen.

Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie

Wiederkehrende Themen waren dementsprechend auch Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie. Vertreter vieler Länder betonten, dass sie daran arbeiten, Abfälle besser zu managen und das Recycling zu verbesser – was nicht zuletzt Arbeitsplätze schaffe. Lisa Helps, die Bürgermeisterin der kanadischen Stadt Victoria, äußerte sogar die Hoffnung, dass es 2050 keine Mülldeponien mehr geben müsse. Dazu gehöre aber nicht nur Recycling, sondern ein Systemwandel, betonte Joke Dufourmont vom niederländischen Unternehmen Circle Economy: „Konsumismus wird immer noch geschätzt.“ Produkte müssten von Anfang an auf Wiederverwertbarkeit entworfen werden. So sei Baumwollkleidung prima wiederverwertbar – solange sie kein Polyester enthalte. Die Fasern seien nicht mehr trennbar, das ganze Kleidungsstück Müll. Problematisch sei auch die gefühlte Obsoleszenz: Aus Modegründen werde Kleidung heute 80% kürzer getragen als früher. Dufourmont zitierte abschließend eine Studie, derzufolge die Kreislaufwirtschaft in der Europäischen Union netto 700.000 Arbeitsplätze schaffen könnte.

Positive Wirkung auf den Arbeitsmarkt

Helps hatte dafür zwei Beispiele aus Victoria, wie diese Arbeitsplätze sogar Langzeitarbeitslosen eine Perspektive schaffen können: So gäbe es das „Binners‘ Project“, in dem sich arbeitslose Pfandsammler zusammengeschlossen haben und mit Konferenzcentern und anderen Einrichtungen kooperieren, um Wertstoffe aus den Abfällen zu sortieren. „Die Arbeitslosen sind jetzt Manager“, freute sich deren Bürgermeisterin. Gleiches gelte für das „Food Rescue Program“: Menschen, die zunächst ähnlich den Tafel-Kunden in Deutschland von Resten aus Bäckereien und fast abgelaufenen Lebensmitteln lebten, haben ein Geschäft daraus gemacht, Lebensmittel, die sonst weggeworfen würden, zu Essen zu verarbeiten und zu verkaufen. Inzwischen hat das Programm ein eigenes Gebäude und arbeitet nach industriellen Standards.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze gratuliert den Gewinnern des Better Together Awards.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze gratuliert den Gewinnern des Better Together Awards.

Better Together Award

Am Rande der Konferenz verlieh Bundesumweltministerin Svenja Schulze den internationalen "Better Together Award" für gemeinschaftliche Lösungen bei lokalen Klimaschutzmaßnahmen.

Zu den fünf Gewinnern gehört das indische Projekt „Carbonlites“. Die Projektpartner haben Frachtcontainer zu kleinen Biogasfabriken umgebaut, die mobile eingesetzt werden können. Gespeist werden die Container mit Lebensmittelabfällen der Stadt Bangalore. Kleine Unternehmen werden so täglich mit 400 Kilogramm Gas versorgt, wo es kein Gasleitungsnetz gibt. Außerdem entsteht im gleichen Zeitraum eine Tonne Dünger. Das Projekt vermeidet täglich fünf Tonnen Methan und 1,2 Tonnen Kohlendioxid.

Die weiteren Gewinner sind:

  • eTrash2Cash, eine App- und ePay-Lösung, mit der Menschen in Nigeria auf den Wert bestimmter Reststoffe aufmerksam gemacht werden und diese so, anstatt im Müll zu landen, verkauft und recycelt werden.
  • Jelbi, eine App, die die unterschiedlichen Mobilitätsangebote der Stadt Berlin in einem Programm zusammenführt und auch für alle Dienstleister eine einheitliche Bezahlmöglichkeit bietet.
  • MUV – eine App, die die zurückgelegten Strecken ihrer Nutzer erfasst und ökologisches Verhalten dabei belohnt. Gegenseitige Herausforderungen motivieren die Nutzer spielerisch. Die gesammelten Daten sollen Stadtplaner nutzen, um die innerstädtische Mobilität zu optimieren.
  • XDI Sydney, eine Software, die die Folgen des Klimawandels und die Risiken von Extremwettersituationen regional mit hoher Auflösung vorhersagt und so Entscheidern auf allen staatlichen Ebenen als Hilfe für Anpassungsmaßnahmen dient.

Eine Frage des politischen und gesellschaftlichen Wollens

Im Verlauf der zweitägigen Konferenz zweifelte niemand an der Dringlichkeit des Handelns oder daran, dass die technischen Lösungen da sind – oder wie Debra Roberts, Co-Vorsitzende der Gruppe II des IPCC-Reports, formulierte: „Physikalisch spricht nichts dagegen, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Es ist eine Frage des politischen und gesellschaftlichen Wollens.“ Eng verbunden mit der praktischen Umsetzbarkeit ist die Frage der Finanzierung. Ein anderes praktisches Problem stellte Anja Mager vom Bundesumweltministerium heraus: Die EU-Vorgaben für öffentliche Ausschreibungen enthalten keine verbindlichen Vorgaben zur Nachhaltigkeit des Angebots. Viele Einkäufer hätten daher Hemmungen, ökologische Angebote günstigeren Alternativen vorzuziehen, da sie um die Rechtssicherheit dieser Entscheidung fürchten. Defourmont regte an, anstelle des Verkaufspreises mit Lebenszykluspreisen zu arbeiten. E.On-Vertreterin Sarah Carsson stellte die Idee „funktionaler Ausschreibungen“ vor – anstelle von tausend Glühbirnen sollte der Auftrag darin bestehen, einen bestimmten Raum mit einer bestimmten Helligkeit auszuleuchten.

Abschlusserklärung mit Blick auf UN-Klimagipfel

Zum Abschluss der Konferenz einigten sich die Vertreter der nationalen Regierungen auf eine Partnerschaftserklärung zu gemeinsamer Klima-Aktion, die unter anderem beinhaltet, einen finanziellen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen Investitionen in klimaresiliente Infrastrukturen auf lokaler Ebene möglich sind. Bundesstaaten und Regionen einigen sich auf eine Raumplanung, die Klimaziele berücksichtigt. Und die Vertreter der Städte versprachen, bei allen kommunalen Dienstleistungen die Klimaziele zu verfolgen. Vier Monate vor dem Klima-Aktionsgipfel der Vereinten Nationen senden die Konferenzteilnehmer damit das starke Signal: Es ist möglich, ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen zu implementieren und sowohl die Paris-Vereinbarung zum Klimaschutz als auch die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung einzuhalten. Denn, wie Klimaforscherin Roberts betont: „Bereits bei 1,5 Grad Erwärmung werden Millionen Menschen in zahlreichen Regionen durch den Klimawandel verwundbar sein. Wir brauchen zirkulare und biobasierte Wirtschaften!“

bl