Enzyme – die Supertalente der Bioindustrie

3D-Model Visual Enzym PETase

Text: Philipp Graf

Enzyme sind die unsichtbaren Stars der Bioökonomie. Die Biokatalysatoren lassen sich als Spezialwerkzeuge nutzen, um biobasierte Produktionsprozesse zu steuern. Sie sind unverzichtbare Helfer in der Lebensmittelherstellung und zahlreichen anderen industriellen Anwendungen. In der Forschung und der Züchtung sind ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten ebenfalls gefragt. Update unseres Dossier-Klassikers!

Was sind Enzyme?

Enzyme sind komplexe Eiweißmoleküle. Im Körper wirken diese Proteine als Beschleuniger von chemischen Reaktionen. Deswegen werden Enzyme auch als Biokatalysatoren bezeichnet.

Enzyme sind in Organismen die zentralen Antreiber für biochemische Stoffwechselprozesse – ohne Enzyme kein Leben. Von der Verdauung über den Energiestoffwechsel der Zellen, der Informationsübertragung bis hin zum Kopieren der Erbinformation, all diese Abläufe werden von Enzymen gesteuert.

Das Besondere: Enzyme gehen sehr spezifisch zu Werke – ein einzelnes Enzym katalysiert in der Regel nur eine einzige Reaktion und es setzt in manchen Fällen nur ein ganz bestimmtes Molekül um, das sogenannte Substrat. Andere Enzyme sind hingegen in der Lage, mehrere Substrate umzusetzen. Enzyme sind zudem sehr selektiv: Sie setzen ein Substrat nur zu einem von mehreren möglichen Produkten um.

Das macht Enzyme zu biologischen Spezialwerkzeugen. Es existiert eine riesige Vielfalt an Enzymen mit unterschiedlichsten Fähigkeiten. Für nahezu jede biochemische Reaktion hält die Werkzeugkiste der Natur eigene Biokatalysatoren bereit.

Moleküle aufbauen, abbauen oder umbauen

Moleküle aufbauen, abbauen oder umbauen, das sind die Kernfunktionen der Enzyme. Ihre Namen enden charakteristisch mit „-ase“, also Cellulase, Lipase oder Protease. Wie für Katalysatoren typisch, unterstützen die Enzyme eine Reaktion, indem sie die Reaktionspartner eng zusammenbringen und die Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen. Sie werden aber nicht Teil des entstehenden Produkts.

Auf der Oberfläche des dreidimensionalen Enzymmoleküls gibt es eine Region, in die das Substrat wie ein Schlüssel ins Schloss passt. An dieser Stelle – dem aktiven Zentrum – läuft die Reaktion ab. Die Enzyme selbst werden nach der Reaktion unverändert wieder freigesetzt und können sogleich bei einem weiteren Substratmolekül in Aktion treten. Als Biomoleküle sind Enzyme bei milden Bedingungen (niedrigen Temperaturen, neutraler pH-Wert, wässrige Umgebung) aktiv. Und sie sind biologisch abbaubar.

Enorme Anwendungsvielfalt

Menschen machen sich die außerordentlichen Fähigkeiten der Enzyme schon lange zunutze. Sie setzen sie als wichtige Hilfsmittel für die Herstellung von biobasierten Produkten ein. In der Lebensmittelindustrie, bei Futtermittel- und der Konsumgüterindustrie sind die molekularen „Produktionsassistenten“ nicht mehr wegzudenken. Auch in der molekularbiologischen Forschung und der Züchtung haben Enzyme als Werkzeuge ihren festen Platz. Biotechnologen setzen dabei nicht mehr nur auf natürlich vorkommende Enzyme. Mithilfe neuester Erkenntnisse wollen sie neuartige Biokatalysatoren designen oder Zellen mit neuen Stoffwechselwegen ausstatten. Dieses Dossier beleuchtet die enorme Anwendungsvielfalt der Enzyme und ihr Potenzial für die Bioökonomie.

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Enzyme entdecken und herstellen

Enzyme sind die vielfältigste Gruppe in der Welt der Proteine. Allein in dem gut erforschten Bakterium Escherichia coli kommen etwa 500 verschiedene Enzyme vor. Nach den internationalen Standards sind derzeit weltweit etwa 8.400 Enzyme detailliert beschrieben und systematisch eingeordnet worden. Sie erhalten dazu eine aus vier Zahlen bestehende Klassifizierungsnummer (EC Nummer).

In der in Deutschland im Jahr 1987 aufgebauten und in Braunschweig betriebenen Enzym-Datenbank BRENDA, die als weltweit wichtigste Ressource für Biokatalysatoren gilt, waren im Januar 2023 Informationen zu mehr als 104.000 Enzymen aus rund 14.000 verschiedenen Organismen archiviert.

Biologen durchforsten die globale Biodiversität auf der Suche nach weiteren, bislang unbekannten Enzymen. Die Suche wird durch leistungsfähige Hochdurchsatz-Technologien („-omics“) stark beschleunigt. Mittels Hochdurchsatz-Sequenzierung lassen sich Erbgutabschnitte oder sogar ganze Genome aus Zell- und Gewebeproben rasch und kostengünstig auslesen. So lassen sich mittlerweile sogar sämtliche Erbinformationen eines Lebensraums, etwa einer Bodenprobe, sequenzieren. Der Forschungszweig nennt sich Metagenomik. Dadurch lassen sich auch molekulare Baupläne von Enzymen aufspüren, deren Wirtsorganismen sich nicht im Labor kultivieren lassen.

Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen als Quelle

Enzyme sind Naturstoffe. Es sind derart komplexe und große Biomoleküle, dass man sie nicht chemisch nachbauen kann. Sie müssen durch Biosynthese entstehen und aus biologischen Quellen gewonnen werden. Enzyme wurden früher aus tierischem oder pflanzlichem Material extrahiert. Zu den wichtigsten Quellen zählten die Bauchspeicheldrüsen von Schlachttieren (etwa Waschmittelenzyme) oder die Mägen von jungen Kälbern und Ziegen (Lab-Gewinnung für Käse).

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts sind Mikroorganismen als effiziente Produzenten von Enzymen in den Fokus gerückt. Bakterien, Hefen oder Schimmelpilze werden dazu in geschlossenen Stahltanks – den Fermentern – kultiviert. In das flüssige Nährmedium werden hauptsächlich komplexe Stickstoffquellen, Zucker und Spurenelemente hinzugegeben. Die Mikroorganismen wachsen und gedeihen und geben die Enzyme im Idealfall in das Medium ab. Die Proteine werden dann aus dem Medium aufgereinigt und in den Handel gebracht.

Mikroorganismen in lebende Enzym-Fabriken verwandeln

Konnten anfangs nur die Enzyme genutzt werden, die das jeweilige Bakterium natürlicherweise herstellt, so haben die moderne Biotechnologie und die Gentechnik hier ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Mithilfe gentechnischer Methoden lässt sich der molekulare Bauplan eines gewünschten Enzyms in Bakterien über sogenannte Plasmide – kleine DNA-Ringe ­– einschleusen. Auf dieses Weise werden die Zellen umfunktioniert und darauf programmiert, fortan das Enzym in höherer Ausbeute und Reinheit herzustellen.

Der Großteil der Enzyme in Lebensmittelindustrie und Anwendungstechnik wird heute mithilfe von gentechnisch veränderten mikrobiellen Zellfabriken hergestellt. Zu den wichtigsten Produktionsorganismen zählen Bakterien der Gattung Bacillus und Schimmelpilze der Gattung Aspergillus. Fachleute für industrielle Biotechnologie sorgen dafür, dass ihre winzigen Leistungsträger konstant und mit gleichbleibender Qualität ihre Produkte abliefern. Auf der Basis neuer Erkenntnisse der Mikrobiologie und Verfahrenstechnik können die Zellfabriken auf Höchstleistung getrimmt werden.

Maßgeschneiderte Enzyme mit verbesserten Eigenschaften

Will man Enzyme in technischen Anwendungen wie Wasch- und Reinigungsmitteln oder in der Papier- und Textilindustrie einsetzen, so müssen die Biokatalysatoren meist noch für ihren Einsatzbereich optimiert werden. Enzyme müssen für industrielle Bioprozesse in ihren Eigenschaften so verändert werden, dass sie zum Beispiel hitzebeständig werden, mit extremen pH-Werten zurechtkommen oder effizienter arbeiten.

Neue molekularbiologische Verfahren erlauben es, Enzyme gezielt auf einen bestimmten Anwendungszweck hin zu konstruieren und somit funktionell noch weiter zu verbessern. Es gibt zwei unterschiedliche Ansätze für die Optimierung von Enzymen (Enzyme Engineering):

  • Das rationale Protein-Design: Aufbauend auf Daten zur dreidimensionalen Struktur eines Enzyms werden computergestützt digitale Varianten erzeugt. Das erlaubt Vorhersagen, an welchen Stellen sich die Eigenschaften des Enzyms optimieren lassen. Nach der Modellierung wird der molekulare Bauplan des Enzyms dann im Labor gezielt verändert und die auf dieser Basis erzeugten Enzym-Varianten werden experimentell überprüft.
  • Die gerichtete Evolution: Für diesen Ansatz werden keine dreidimensionale Strukturdaten der Enzyme benötigt. Vielmehr wird ein Evolutionsprozess im Labor nachgestellt: Im molekularen Bauplan, dem entsprechenden Gen des Enzyms, werden zufällig Mutationen ausgelöst. Dadurch entsteht eine große Zahl an Enzym-Varianten. Sie werden im Labor dann in Aktivitäts-Testreihen auf verbesserte Eigenschaften geprüft (Selektionsschritt). Die besten Kandidaten durchlaufen weitere Optimierungsrunden.

Innerhalb weniger Monate lassen sich heute mit diesen Ansätzen Enzyme an neue Substrate oder gewünschte Prozessbedingungen anpassen. Kombiniert mit Technologien wie Künstliche Intelligenz sowie effizienten Hochdurchsatzverfahren können die Entwicklungszeiten noch weiter verkürzt werden.

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Lebensmittelindustrie: Brot, Käse, Saft

Mit der Hilfe von Enzymen als biologische Werkzeuge können Stärke, Fette oder Eiweiße nach Wunsch modifiziert werden, daher sind die vielseitigen Helfer in zahlreichen Herstellungsschritten im Einsatz. Mehr als 50 Enzyme werden heute in der Lebensmittelindustrie verwendet. Sie erlauben eine effizientere Nutzung von Ressourcen, sichern und veredeln die Qualität der Lebensmittel und verbessern die Lagerfähigkeit.

Backwaren: In vielen Backmischungen der Bäckereien sind heutzutage Enzyme enthalten. Insbesondere in Hefe- und Sauerteig helfen Amylasen, die Stärke im Mehl in Zucker zu spalten und so für die Hefe verfügbar zu machen. Andere bauen das Klebereiweiß Gluten ab. Je nach Produkt sorgen Enzyme für optimale Teigeigenschaften und zuverlässige Backergebnisse. Sie helfen dabei, dem Teig Volumen und Farbe zu verleihen. Sie sorgen für eine schöne und stabile Brotkrume. Das inzwischen weit verbreitete Aufbacken von vorproduzierten, gefrorenen Teigrohlingen wäre ohne Enzyme nicht möglich.

Milchprodukte: Damit aus Milch Käse wird, muss der Eiweißanteil gerinnen. Traditionell wird zum „Dicklegen“ der Milch Labferment verwendet. Dieser Stoff kommt natürlicherweise in den Mägen junger Kälber und Ziegen vor. Heute ist klar, dass es sich beim Lab um ein Gemisch der Enzyme Chymosin und Pepsin handelt. Sie spalten bestimmte Eiweißstoffe (Caseine) in der Milch und lösen so die Gerinnung aus. Bevor gentechnische Verfahren bekannt waren, mussten die Enzyme aufwendig aus den Mägen der Tiere gewonnen werden. Inzwischen übernehmen Schimmelpilze oder Hefen die Produktion: Sie wurden mit dem aus Kälbermägen isolierten Chymosin-Gen ausgestattet und stellen das Enzym nun in großen Mengen und in hoher Reinheit her. Andere Enzyme wie die Lipasen sorgen bei Käse und anderen Milchprodukten für die Entfaltung von Aromen und die Ausbildung einer gewünschten Textur. Auch die Lactase ist ein wichtiges Enzym in der Ernährungswirtschaft: Sie sorgt für die Spaltung des Milchzuckers Lactose. Das Enzym wird in Form von Tabletten und Kapseln angeboten, damit Menschen mit Lactoseintoleranz Milchprodukte zu sich nehmen können.  

Stärkeverzuckerung: Rüben- oder Rohrzucker sind längst nicht mehr die einzigen Quellen für Zucker. Im Prinzip kommt jede stärkehaltige Pflanze dafür in Betracht (insbesondere Mais, Kartoffeln, Weizen). Enzyme wie die Amylase zerlegen die langkettige Stärke in ihre Molekülbestandteile – in den Einfachzucker Glucose (Dextrose). Mithilfe anderer Enzyme wie den Isomerasen entstehen im weiteren Verarbeitungsprozess verschiedene Zuckersirupe, die Fructose oder Maltose enthalten und zum Süßen genutzt werden können.

Fleisch: Auch bei der Fleischverarbeitung werden Enzyme eingesetzt, um Struktur, Farbe und Geschmack zu beeinflussen. Enzyme werden auch dazu verwandt, um unterschiedliche Fleischteile zusammenzufügen, etwa bei Kochschinken („enzymatisches Kleben“).

Getränke: Pektinasen erleichtern und verbessern das Auspressen von Obst und Gemüse, indem sie die Zellwände der Pflanzen schneller abbauen und dadurch die Saftausbeute erhöhen. Zudem bauen sie noch vorhandene Trübstoffe ab, um etwa klaren Apfelsaft zu produzieren. Andere Enzyme sorgen für glutenfreies Bier.

In der Regel keine Kennzeichnung als Zutat notwendig

Enzyme werden in der Lebensmittelindustrie in der Regel als Hilfsmittel im Herstellungsprozess eingesetzt. Im Verlauf des Prozesses werden sie entfernt oder durch Hitze inaktiviert. Da sie nicht im Endprodukt aktiv sind, muss ihr Einsatz nicht gekennzeichnet werden. Nur die Enzyme Invertase für die Frischhaltung von Marzipan und Lysozym als Konservierungsmittel sind als Zusatzstoffe auch im Endprodukt aktiv und müssen daher auf der Zutatenliste auftauchen.

Gemäß einer EU-Verordnung von 2009 dürfen nur solche Enzyme in Lebensmitteln verwendet werden, die in einer europäischen Gemeinschaftsliste eingetragen sind. Die Lebensmittelbehörde EFSA prüft auf Risiken. Besondere Anforderungen für Enzyme, die mithilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen hergestellt werden, gibt es nicht. Für sie gelten die gleichen Sicherheitsanforderungen wie für alle anderen Enzyme. Eine spezifische Gentechnik-Kennzeichnung ist nicht vorgeschrieben.

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Landwirtschaft: Futter besser verwerten

Als Zusatz in Futtermitteln verbessern die Enzyme Phytase und Xylanase die Verwertung der Nahrung durch Nutztiere. Zum Beispiel Phytase: das Enzym sorgt dafür, dass Tiere Phosphor aus Pflanzen besser aufnehmen können. Nicht-Wiederkäuer wie Schweine und Geflügel sind nicht in der Lage, den in der pflanzlichen Nahrung enthaltenen lebensnotwendigen Nährstoff Phosphor zu erschließen. Deshalb müssen die Phosphorverbindungen durch die Landwirtinnen und Landwirte extra zugefüttert werden.

Doch Phosphor ist eine knappe Ressource. Der überschüssige Phosphor landet wiederum in der Gülle und belastet die Umwelt. Durch den Zusatz von Phytase im Futter kann auf die Zufütterung von Phosphat verzichtet werden, der Phosphor aus der Nahrung wird verfügbar. Gleichzeitig sinkt die Phosphatbelastung der Umwelt bei der Düngung mit Gülle. Mithilfe biotechnologischer Verfahren ist es inzwischen möglich, das Enzym Phytase durch Schimmelpilzkulturen der Gattungen Aspergillus oder Trichoderma in großem Maßstab herzustellen.

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Technische Anwendungen: Waschen, Bleichen, Gerben

In vielen industriellen Anwendungen aber auch im Haushalt sind die vielseitigen Fähigkeiten der Enzyme gefragt. Sie entfernen Schmutz beim Waschen, unterstützen die Herstellung von Papier und Textilien und erlauben spezifische Syntheseprozesse in der chemischen und pharmazeutischen Industrie. Auch bei der Biokraftstoff-Herstellung sind Enzyme zentrale Akteure.

Waschen: Enzyme sind in Waschmitteln unverzichtbare Helfer. Weil sie bereits in kleinsten Mengen hochwirksam sind und bei geringen Temperaturen aktiv werden, sind sie wesentlich dafür verantwortlich, dass der durchschnittliche Waschmittelverbrauch und die Waschtemperatur in den letzten Jahrzehnten gesenkt werden konnte. 40 Prozent der industriell produzierten Enzyme werden in Wasch- und Reinigungsmitteln eingesetzt. Proteasen wie die Subtilisine sorgen für den Abbau von Eiweißen, entfernen also Flecken aus Blut, Kakao oder Ei. Soßenreste wiederum werden von Amylasen abgebaut, Fette durch Lipasen zerlegt. Cellulasen dienen als Weichmacher und sorgen für die Textilpflege: Sie knabbern an winzigen Knötchen oder abstehenden Mikrofasern im Baumwollgewebe und beugen damit dem „Vergrauen“ von Textilien vor. Auch in Reinigungsmitteln für Geschirrspüler oder die Reinigungsflüssigkeit von Kontaktlinsen stecken Enzyme.

Textilien bearbeiten: Anstelle von Wasserstoffperoxid lassen sich Textilien auch mit dem Enzym Katalase bleichen, und das unter milden Bedingungen und geringem Energieaufwand. Bei der Jeansherstellung wiederum werden Cellulasen genutzt, um den sogenannten „Stonewashed“-Effekt zu erzielen. Hier ersetzen die Biokatalysatoren die herkömmliche Herstellung auf der Basis von Bimssteinen.

Gerben: Auch bei der Lederbehandlung sind Enzyme gefragt. Hier werden Proteasen eingesetzt, die für den Abbau bestimmter Eiweiße in der Lederhaut von Tieren sorgen. Durch das Wirken der Enzyme wird das Leder im Verlauf der Bearbeitung geschmeidig und leichter färbbar.

Das Enzym MHETase zerlegt PET-Flaschen in ihre chemischen Bausteine
Das Enzym MHETase ist ein riesiges komplex gefaltetes Molekül (rechts in grün). MHET-Moleküle aus PET-Kunststoff docken an einer aktiven Stelle im Inneren der MHETase an und werden zerlegt.

Papier herstellen: In der Papier- und Zellstoffindustrie werden Enzyme eingesetzt, um den Rohstoff Holz besser mechanisch zerfasern zu können. Auch in einem weiteren Schritt der Papierherstellung, der Bleiche, werden im Vorfeld Xylanasen eingesetzt. Beim Recycling von Papier kann Druckerschwärze leichter mithilfe von Cellulasen und Lipasen entfernt werden („Deinking“). Enzyme helfen, den Energie- und Ressourcenaufwand zu senken.

Biokraftstoffe erzeugen: Sowohl für die Herstellung von Biokraftstoffen der ersten Generation (Sprit aus zuckerhaltigen, essbaren Pflanzenteilen) wie auch der zweiten Generation (Sprit aus Agrarreststoffen) werden Enzyme eingesetzt. Ist Holz oder Stroh der Rohstoff für die Biosprit-Herstellung, so sorgen Cellulasen und andere Enzyme dafür, die Lignocellulose aus den Pflanzenfasern in ihre Einzelbausteine zu zerlegen. Am Ende entsteht das Zuckermolekül Glucose, das wiederum von Hefen zu Ethanol vergoren werden kann.

Kunststoffe zerlegen: Faszinierenderweise besitzen einige Mikroorganismen Enzyme, mit deren Hilfe sie die Molekülketten von Kunststoffen zerlegen können. Der Fund eines PET-abbauenden Enzyms, das PETase getauft wurde, hat 2016 breite Forschungsaktivitäten ausgelöst. Mehr als 80 verschiedene Enzyme mit dieser Fähigkeit kennt die Forschung mittlerweile. Und auch erste industrielle Anwendungen für das Kunststoff- und Textilrecycling werden vorangetrieben. (Mehr Infos in dem Themendossier: Biologisches Kunststoff-Recycling).

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Chemikalien, Arzneien und Aromastoffe

Chemie- und Pharmaindustrie erschließen zunehmend das Potenzial der Enzyme. Abhängig vom jeweiligen Prozess bieten Enzyme ökologische und ökonomische Vorteile – die auf dem Weg in eine „Grüne Chemie“ geschätzt werden. So sind die Biokatalysatoren umweltverträglich, da sie aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden, biologisch abbaubar und nicht toxisch sind. Da sie in der Regel unter milden Reaktionsbedingungen (neutrale pH-Werte, gemäßigte Temperaturen und Drücke) arbeiten, lassen sich Enzyme ressourcenschonend einsetzen. Die Pharmaindustrie setzt wiederum auf die einzigartige Spezifität und Selektivität der Enzyme, mit der sich Produkte in hoher Reinheit gewinnen lassen.

Chemikalien herstellen: Einer der weltweit größten enzymatischen Industrieprozesse ist die Herstellung von Acrylamid. Die Basischemikalie spielt eine wichtige Rolle bei der Herstellung von Farben, Klebemitteln und Flockungsmitteln. Ausgangssubstanz für den Bioprozess ist Acrylnitril, das dann mithilfe des Enzyms Nitrilhydratase (NHase) sehr effektiv in Acrylamid umgewandelt wird. Dafür werden lebende Zellen des Bakteriums Rhodococcus rhodochrous J1 eingesetzt. Die Ausbeute ist hoch effizient. Die Produktionskapazität weltweit liegt deutlich über 100.000 Jahrestonnen. Der Chemiekonzern BASF hat zum Beispiel große Werke in Deutschland, den USA und China errichtet, in denen Acrylamid biotechnologisch hergestellt wird.

Wirkstoffe synthetisieren: Enzyme sind auch in der Pharmaindustrie als molekulare „Baumeister“ gefragt: Per Biokatalyse lassen sich schnell und günstig Moleküle herstellen, die sich nur schwer oder gar nicht mittels chemischer Synthese erzeugen lassen. Diese Fähigkeit wird in der Pharmaindustrie genutzt, um chirale Medikamente herzustellen. Darunter versteht man Wirkstoffe, die nur bei einer bestimmten räumlichen Anordnung der Atome im Molekül wie gewünscht funktionieren. Die zuverlässige Herstellung einer ganz bestimmten Molekülversion, die sogenannte Enantiomeren-selektive Katalyse, ist eine der großen Stärken der Enzyme. Ein Beispiel ist die Antibiotika-Herstellung: 6-APA, ein wichtiges Vorläufermolekül für die Herstellung semi-synthetischer Penicilline, wird mithilfe des Enzyms Acylase hergestellt. Weitere Beispiele sind Transaminasen und Ketoreduktasen, die genutzt werden, um Arzneistoffe wie Esomeprazol gegen Magengeschwüre, Montelukast gegen Atemwegsleiden oder das Antidiabetikum Sitagliptin herzustellen.

RNA-Polymerase in Aktion
Das Enzym RNA-Polymerase II schreibt DNA in einen komplementären mRNA-Strang um.

Impfstoffe erzeugen: COVID-19-mRNA-Impfstoffe hatten und haben einen wesentlichen Anteil an der Bewältigung der Corona-Pandemie. Die Herstellung von mRNA-Molekülen im industriellen Maßstab stützt sich dabei auf das Enzym RNA-Polymerase, die DNA in einen einsträngigen mRNA-Strang umschreibt. Der Prozess wird im Themendossier Zellfreie Biotech-Produktion näher erläutert.

Aromastoffe per Biokatalyse: Zu den Aromastoffen, die enzymatisch hergestellt werden, zählt Nootkaton, ein Terpenoid, das Grapefruit ihren charakteristischen Geruch gibt. Um den Aromastoff biotechnisch zu erzeugen, gewinnt man den Naturstoff Valencen aus Orangen. Mithilfe von Laccasen, Lipoxygenasen oder P450-Monooxygenasen wird das Molekül in Nootkaton enzymatisch umgewandelt.

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Werkzeuge für Molekularbiologie und Züchtung

Enzyme sind nicht nur als vielseitige Helfer in der industriellen Produktion wichtig. Sie sind unverzichtbare Werkzeuge in der molekularbiologischen Forschung.

Molekulare Werkzeugkiste

Sogenannte Restriktionsenzyme erkennen und schneiden die DNA an Stellen mit einem ganz bestimmten genetischen Buchstabencode. Mit den molekularen Scheren lassen sich Erbgutstücke passend zurechtschneiden. Mit Ligasen wiederum lassen sich die maßgeschneiderten DNA-Stücke zusammenkleben. Ohne diese Werkzeuge wäre die Gentechnik undenkbar. Ein weiteres Standard-Enzym in den Laboren ist die Taq-Polymerase. Sie wurde einst aus dem Bakterium Thermus aquaticus isoliert. Die Mikrobe lebt in einem 90 Grad heißen Geysir im Yellowstone-Park in Kalifornien. Die Taq-Polymerase ist ein Kopierenzym, das für die Vervielfältigung von DNA-Molekülen in der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) gebraucht wird. Die PCR ermöglicht, sehr geringe Mengen eines DNA-Abschnitts zu vervielfältigen, bis er in gut nachweisbarer Konzentration vorliegt. Das ist inbesondere in der Diagnostik, aber auch in der Forensik von enormer Bedeutung.

Auch eine weitere revolutionäre Entdeckung basiert auf einem Enzym: die programmierbare Genschere CRISPR-Cas9. Es handelt sich um ein molekulares Präzisionswerkzeug, mit dem sich Erbgut in lebenden Zellen besonders einfach und präzise bearbeiten lässt. Fündig wurden Mikrobiologen in dem Bakterium Streptococcus pyogenes. Es hat ein molekulares Abwehrsystem gegen Viren entwickelt. Forscher haben dieses CRISPR-Cas9-System für biotechnologische Anwendungen optimiert und eine sogenannte Designer-Nuklease geschaffen.

Revolutionäre Genschere

Cas9 ist in dem System die eigentliche Genschere – als Nuklease kann sie Doppelstrangbrüche im Erbmolekül DNA auslösen. Durch das CRISPR-System lässt sie sich darauf programmieren, an definierten Stellen im Genom ihre Schnitte zu setzen. Auf diese Weise lassen sich an vielen Stellen gleichzeitig Mutationen in das Erbgut einfügen, Abschnitte herausschneiden oder DNA-Fragmente einbauen. Molekularbiologen sprechen hierbei von Genom-Editierung (Genome Editing).

Neben CRISPR-Cas9 existieren noch andere Designer-Nukleasen. Wegen der einfachen Handhabung hat das CRISPR-Cas-System jedoch rasant Einzug in die Labore gehalten. Obwohl erst 2012 beschrieben, hat CRISPR-Cas nicht nur die Grundlagenforschung verändert. Auch für die Züchtung von Nutzpflanzen und Nutztieren birgt die Technologie enormes Potenzial (Themendossier Genom-editierte Nutzpflanzen). Für die Erforschung von Krankheiten und neuartige Gentherapien eröffnen sich ebenfalls völlig neue Möglichkeiten.

Neue Stoffwechselwege konstruieren

In den Anfängen der molekularen Biotechnologie wurden Bakterien als Produktionsorganismen lediglich mit dem zusätzlichen Bauplan für ein einziges Protein ausgerüstet. Inzwischen gelingt es Forschern, komplexe Stoffwechselwege mit zahlreichen enzymatischen Synthese-Schritten zu entwerfen, Zellen damit auszustatten und auf diese Weise industrielle Produkte herzustellen. Bei diesem Metabolic Engineering bedienen sich die Forscher genetischer Steuerelemente und Biosynthese-Gene unterschiedlicher Herkunft – etwa aus Pflanzen, Tieren oder Mikroorganismen. Diese gezielte Konstruktion von Stoffwechselwegen und Zellfabriken, die in der Natur so nicht vorkommen, wird auch Synthetische Biologie genannt.

Forschende experimentieren auch mit zellfreien Produktionssystemen, in denen isolierte Enzyme so miteinander kombiniert werden, dass in mehreren Schritten ein Produkt entstehen kann. Beispiele für solche Enzymkaskaden werden in dem Themendossier Zellfreie Biotech-Produktion vorgestellt.

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Wirtschaftliches Potenzial

Enzyme sind zu einem bedeutenden Standbein der industriellen Biotechnologie geworden. Der Verband der Enzymhersteller AMFEP listet allein rund 250 Enzyme auf, die kommerziell vertrieben werden. Die weltweit im größten Maßstab hergestellten Enzyme zählen zu den Hydrolasen – etwa Proteasen oder Amylasen, die in Waschmitteln oder in der Lebensmittelherstellung angewandt werden.

Europa gilt als Hotspot der globalen Enzymherstellung: Geschätzt zwei Drittel der weltweiten Enzymproduktion finden hier statt, zu einem großen Teil in Dänemark, Frankreich und Deutschland.

Solide Zahlen zum globalen Enzymmarkt sind schwierig zu ermitteln. Nach Schätzungen des Marktanalyse-Unternehmens BCC Publishing wurden im Jahr 2021 weltweit mit industriellen Enzymen insgesamt rund 6,4 Mrd. US-Dollar umgesetzt. Auf den dänischen Großproduzenten Novozymes entfällt dabei etwa die Hälfte des weltweiten Umsatzes. Wie Novozymes auf Anfrage mitteilt, gehen 90 % der Einnahmen des Konzerns auf das Konto der industriellen Enzyme (2022 beliefen sich die Einnahmen von Novozymes insgesamt auf rund 2,5 Mrd. US-Dollar). Dieser Anteil wird noch einmal deutlich ansteigen, da Novozymes zu Ende des Jahres 2023 den dänischen Enzym-Großhersteller Chr. Hansen übernehmen wird. Zu den weiteren Enzym-Riesen auf dem Weltmarkt zählen die US-Firma DuPont sowie die niederländische DSM.

Laut der Unternehmens-Datenbank des Fachmedienunternehmens BIOCOM gab es im Jahr 2023 unter den dedizierten Biotechnologie-Unternehmen in Deutschland rund 20 Enzymhersteller. Ein Großproduzent hierzulande ist die BASF. Auch AB Enzymes und die BRAIN Biotech und c-LEcta (mittlerweile ein Unternehmen der Kerry-Gruppe) gehören zu den Enzymherstellern in Deutschland. Der Chemie-Konzern Henkel wiederum setzt von Auftragsherstellern produzierte Enzyme in großen Stil in seinen flüssigen und festen Waschmitteln ein.

Wie der Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e.V. (IKW) in seinem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht aufführt, wurden 2021 in Deutschland insgesamt 6.220 Tonnen Enzyme in Wasch- und Reinigungsprodukten eingesetzt.